Autorin: Uta Gerlach-Laxner
Hann Trier
Hann Trier gehört zu den Künstlern der deutschen Nachkriegsgeneration, die in Auseinandersetzung mit Impulsen der internationalen zeitgenössischen Malerei die traditionellen Inhalte durch neue zu ersetzen trachteten. Gemeinsam sind ihnen die Unabhängigkeit vom Abbildhaften und jener nicht mehr vom gestaltenden Objekt bestimmte Umgang mit den bildnerischen Mitteln. Der Impetus der Malerei entwickelt sich aus der Sinnerfahrung. Man sucht Bilder entstehen zu lassen, die auf Bewegung abstellen: Die spontane Geste ist eigentlicher Selbstzweck des Bildes, der Malvorgang an sich wird zum Bildthema und bestimmt seine Ordnung.
Im Rahmen dieser Bildvorstellung ist der 1915 in Düsseldorf geborene Hann Trier ein Einzelgänger, wenngleich seine Malerei immer wieder als "informel" bezeichnet wird. Diese Klassifizierung scheint ein Kommentar in der Zeitschrift "Das Kunstwerk" von 1955 bewirkt zu haben, der Hann Trier als Vertreter des Automatismus in Deutschland sah, ihn aber auch mit seinem auf der "documenta I" ausgestellten Gemälde "Bambuco" (1954, WVZ 108) in "augenscheinliche Beziehung" zum Tachismus setzte. Seit Anfang der 50er Jahre hat Trier einen gestischen Bildtypus geschaffen, der sich nicht prägnanter als mit seinen eigenen Worten beschreiben läßt: "Malen heißt im zusammenhängenden Ablauf auf überschaubarer Fläche tanzen: Im Fließen, im Staccato, im Anhalten, in der Wiederkehr der Pinselschläge tanzt der Rhythmus. Ich springe in ihn hinein, indem ich mit den Pinseln so tanze, daß Tanz sichtbar wird. Die simultane Sichtbarkeit enthält die reversible, im Malprozeß durchlebte Zeit."
Das Werk dieses experimentierfreudigen und erfindungsreichen Künstlers stellt sich als ein stetiger, konsequenter Bildprozeß dar. Hann Trier, der Maler und Zeichner, teilt sich künstlerisch in Gemälden und Zeichnungen mit, im Aquarell und in der Druckgraphik als selbständige Bereiche seiner Kunst, aber auch in einer Reihe von literarischen, seine Liebe zur Sprache und allem Sprachlichen offenbarenden Essays.
Das Thema seiner Bilder ist die Bewegung im Farbigen, Bewegungen, die er in der Vorstellung über die Bildgrenzen fortgesetzt sehen möchte. Farben und Formen in ihrer spezifisch gestischen Erscheinung sind der bildnerische Inhalt. Als zum Rechtshänder umerzogener Linkshänder erfreut er sich beider Möglichkeiten und nutzt diese seit Mitte der 50er Jahre bildnerisch, indem er den Handlungsraum des Bildes immer wieder im Atemrhythmus öffnend und schließend durchzog. Damals begann die systematische, mit beiden Händen vorgetragene Arbeit mit ihren Symmetrien und simultanen Wiederholungen. Das beidhändige Malen und hierbei die Schreibbewegung der Hände sprechen zu lassen wird zum Charakteristikum seiner Arbeit. Dabei hat jede seiner Bildschöpfungen ein eigenes dynamische Bezugssystem, denn bei aller Spontaneität der Entstehung ist ihnen ein klares Formkonzept eigen: Die aus rhythmischen Pinselschwüngen, Farbbahnen, vielteiligen Schichtungen und Durchdringungen sich bildende malerische Textur erscheint graphisch orientiert. Triers Affinität zur Linie und zur Schrift als Bewegung aus der Linie zeigt sich darüber hinaus in den frühen Wortbildern, aber auch in seiner Vorliebe, skripturale Elemente, oft ganze Sätze in freilich nicht direkt lesbarer Transkription, in das Bildgeschehen einzuschreiben.
Seine Aussage "Ich male nie, was ich sehe, selten was ich sah, immer sehe ich, was ich malte"1 beschreibt die eigene künstlerische Arbeit als einen intuitiv gesteuerten Prozeß. Seine ungegenständlichen Kompositionen sind daher nie bloße abstrakte Strukturen ohne einen gegenständlichen Ausgangspunkt. Meistens weist der Titel schon auf das hin, was ihn als Maler beschäftigt. In der Frühzeit wird eine ganze Werkgruppe als Prestidigitationen" (Schnellfingrigkeit) bezeichnet. Dann entstehen Arbeiten, in denen bestimmte Bewegungsimpulse aufgezeichnet oder Tätigkeiten angesprochen werden. Später geht es um Vibrationen, um Flächenbewegungen. In den letzten Jahren weisen die Titel auf Impulse aus der Musik hin. Malerische Reaktionen auf Werke der Literatur und der bildenden Kunst kommen hinzu neben Arbeiten, die vom Zeitgeschehen, wie der Raumfahrt der 60er Jahre, angeregt erscheinen.
Eine besondere Stellung innerhalb seiner Künstlergeneration erlangte Hann Trier mit einer Reihe von Deckengemälden in öffentlichen Gebäuden. Sein malerischer Stil, aber auch seine Affinität zum Mediterranen und die Begeisterung für die italienischen Freskenzyklen aller Epochen boten die geeignete Voraussetzung. Das Deckenbild faszinierte ihn als malerische Aufgabe. Die Vorstellung des Schwerelosen, die Ersetzung der Werte von oben, unten, rechts und links durch nah und fern erschien ihm in der malerischen Bewältigung als die eines Rausches. Die zwischen 1972 und 1974 ausgeführten Deckenmalereien im Weißen Saal und im Treppenhaus des Charlottenburger Schlosses, um die berühmtesten seiner Deckenbilder zu nennen, sind gemalte Himmel, Himmel nicht als etwas Transzendentales, sondern als ein Oben, als ein Schauplatz der künstlerischen Fantasie, mit denen ihm der Schritt von der "privaten Größe" seiner bisherigen Werke zur "öffentlichen Dimension" gelang.
Die Deckengemälde haben nicht nur als existierende Monumente eine eigene große Bedeutung innerhalb seine Œuvres, sondern brachten eine entscheidende Stilentwicklung mit sich. Der Umgang mit den großen Flächen erzielte eine neue malerische Freiheit für die seit den 70er Jahren entstehenden, großformatigen Leinwandbilder.
1 zitiert nach Hans M. Schmidt: Nach eigenem Strich und Faden, in: Sabine Fehlemann (Hrsg.): Hann Trier. Monographie und Werkverzeichnis, Köln 1990, S. 59.
(Dieser Text wurde veröffentlicht in: Tayfun Belgin (Hrsg.): Kunst des Informel. Malerei und Skulptur nach 1952. Ausstellungskatalog Museum am Ostwall Dortmund / Kunsthalle in Emden / Neue Galerie der Stadt Linz, Wienand Verlag 1997, Seite 184-185)