Autor: Heinz Ohff
Heinz Kreutz
Er war der zweite der Quadriga. Wer allerdings die Reihenfolge bestimmt hat, ist nicht mehr feststellbar. Als die vier jungen Maler in der Zimmergalerie Franck im Dezember 1952 ihr erste gemeinsame Ausstellung präsentieren, werden sie auf Mitteilungen und Plakaten als >Neuexpressionisten< Schultze, Kreutz, Greis und Götz angekündigt, was weder auf eine alphabetische noch sonstige Ordnung schließen läßt. Vielleicht ein Eingriff des Erzbohemiens René Hinds, der der Frankfurter Gruppe in seiner Eröffnungsrede den Namen >Quadriga< verlieh?
Auf jeden Fall erscheint der Name des Jüngsten an der zweiten Stelle des Vierspänners, gleich nach seinem Mentor Bernard Schultze. Es folgen der Älteste und der Zweitälteste (und künstlerisch Reifste). Von heute aus gesehen paßt es akkurat auf jenen Kreis und jene Ausstellung, mit der der deutsche Tachismus begann: ein Würfelspiel zwischen zwei Generationen.
Die Situation war typisch für die erste Nachkriegszeit. Eine Generation, die noch vor dem Unheilsjahr 1933 hatte Erfahrungen sammeln können, setzte an, sich einem internationalen Kunst-Trend anzuschließen. Götz, Schultze und Greis konnten in ihrem Schaffen auf reguläre Eindrücke und eine solide Ausbildung zurückgreifen. Sie fehlten der nachfolgenden Generation, der Kreutz angehörte, nahezu vollständig. Von der Schule oder der ersten Berufsausbildung war sie in den Krieg gezogen.
Kreutz war Autodidakt und ausgebildeter Fotograf. Mit 20 Jahren wurde er im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet und mit einem der letzten Flugzeuge aus Stalingrad in die Heimat gebracht. Seit 1944 hat er die Kamera beiseite gelegt und statt dessen gemalt: Porträts, Tiere, Landschaften, was Autodidakten zu malen pflegen. Nach dem Kriegsende traf er, gerade an einer Kreuzigung malend, auf Bernard Schultze, der ihn prompt fragte, ob ihm so etwas Spaß mache. »Nein«, gab Kreutz ehrlicherweise zu, und Schultze riet ihm, es doch einmal ohne hinderliche »Gegenständlichkeit« zu versuchen.
Die Bilder, die Kreutz daraufhin zu malen beginnt, sind häufig als abstrakte französische Landschaften bezeichnet worden. Tatsächlich haben sie etwas Mediterranes, hellfarbig Lyrisches, was schon ihre Titel, wie beispielsweise Pan bläst abends die Flöte oder Das Gelb löst sich vom Stein zum Ausdruck bringen. Kreutz’ künstlerischer Durchbruch erfolgt 1955, im Nachspiel der >Quadriga<-Ausstellung. Ein französisches Stipendium ermöglicht ihm so etwas wie ein nachträgliches Studium. Sein Werdegang ist typisch für seine Generation. In dem holländischen Kollegen Ger Lataster lernt er einen gleichaltrigen Maler kennen, dem es genauso ging wie ihm: »Wir hatten nie voneinander gehört, aber es war, als hätten wir die gleichen Schulaufgaben abgeschrieben.«
Die Planetarische Landschaft, die er in der Zimmergalerie gezeigt hat, gilt als eines seiner tachistischen Hauptwerke. Die Farben haben sich gelockert, gehen ineinander über und erinnern die Kritiker an Wols und - seltsamerweise - an Bonnard. Trotzdem oder eben deswegen bleibt Kreutz ein Skeptiker. Die reine Farbigkeit wird ihm zum - unerreichbaren - Ideal. Er beginnt mit Experimenten, brillanten >Farb-Entfaltungen<, die er flüssig niederschreibt, entwirft eine neue Farbenlehre und widmet sich dem Holzschnitt, einem kargen Ausdrucksmittel, dem er in Wasserfarbendrucken erstaunliche Farbverläufe abgewinnt. Und je weiter er voranschreitet, desto konstruktiver scheint sein Werk zu werden. Eine Art ästhetische Berechenbarkeit schiebt sich in die bedingungslose Freiheit der tachistischen Praktiken, mit der die deutsche Nachkriegsmalerei ansetzte.
Der Zweite der >Quadriga< wird noch immer von allzuvielen Kritikern und Kunsthistorikern übersehen. Das Vierergespann trennte sich schon nach dem großen Beitrag zum Wiederanfang, und Kreutz erfuhr nicht - wohl auch wegen seines zurückhaltenden Wesens - die ihm gebührende Anerkennung, zumal im Talent nie gefehlt hat.
(Dieser Text wurde veröffentlicht in: Tayfun Belgin (Hrsg.): Kunst des Informel. Malerei und Skulptur nach 1952. Ausstellungskatalog Museum am Ostwall Dortmund / Kunsthalle in Emden / Neue Galerie der Stadt Linz, Wienand Verlag 1997, Seite 126-127)