Autor: Rolf-Gunter Dienst

Karl Fred Dahmen

Nach der Zäsur des Dritten Reichs war das Ende des Zweiten Weltkrieges für Karl Fred Dahmen ein Neuanfang. Die Moderne der Kunst war verboten und ausgelöscht gewesen. Neue Orientierungen mußten erst wieder gefunden werden. Für den 1917 in Stolberg bei Aachen geborenen Künstler bedeutete die Begegnung mit der École de Paris die Auseinandersetzung mit Informel und Tachismus, die Entdeckung und Entwicklung eines neuen und eigenen künstlerischen Terrains.

 

Dahmens Stilleben und Stadtbilder aus der Pariser Zeit zwischen 1951 und 1955 verraten noch ihren gegenständlichen Ursprung, lösen sich jedoch schnell zu verschachtelten Facetten und zu Plänen eines urbanen Raumes auf. Sich ineinanderschiebende Gitter und Farbpartikel führen zu einer zunehmenden Verdichtung und bilden abrupt wechselnde Rhythmen, die zu städtischen Strukturen und freien Bauplänen eines neuen Optimismus führen. "Stadtschaften" im Gegensatz zu Landschaften hat der Künstler selbst diese Werke benannt.

Um 1956 vollzieht sich eine Konzentration hin zu amorpher Farbmaterie und zu informellen Strukturen. Der enge Kontakt zu Künstlern der Pariser Nachkriegszeit erfährt hier eine persönliche Umsetzung und Gestaltung. Dahmen hat in diesen ausgereiften informellen Arbeiten sein großes Thema gefunden: die Landschaft. Sie ist freilich nicht gegenständlich reproduzierend gemeint, sondern wirkt in den Tableaux als Impuls.

Die verletzte, geschundene Landschaft um seinen Heimatort Stolberg mit dem Braunkohleabbau, der die Erde auf- und zerreißt, ihr Wunden eingräbt und den Oberflächen vielfältige Läsionen zufügt, wird als Hintergrund ahnbar und bleibt für Jahre bildnerische Metapher in Form schrundiger, durchstrukturierter, die Oberfläche betonender Werke. Die Farbe scheint in diesen subtil Oberflächenvaleurs und terrestrische Strukturen bändigenden Kompositionen zu "verdämmern" und sich in einem letzten Licht zu zeigen. Das Gestische ist in diesen informellen Arbeiten Karl Fred Dahmens kontrolliert und doch von geplanter Direktheit. Als wäre der Künstler Archäologe, werden Schichten freigelegt und von der Materie wieder verschüttet, insulare Setzungen schaffend und die Farbe den Bildkörper als atmende Haut überziehend.

Kruste und scheinbar erstarrte Farblava verweisen in den informellen Kompositionen auf ihren Anlaß zurück. Das Bild ist künstlerische und künstliche Landschaft zugleich. In tonalen oder monochromen Differenzierungen verweigert der Maler dem Bild jede Heftigkeit der Farbe, um Struktur und sie gliedernde Ordnungen als kompositorische Setzungen stärker zu betonen. Offene Formensprache und verschlossen wirkende Zonen durchdringen einander oder kontrastieren. Verhaltene Ruhe und sichtbar gewordene Dramatik wirken nebeneinander und führen in der Werkentwicklung mehr und mehr zu Konfliktpotentialen. Appellative Farbigkeit steht neben sonoren, zurückhaltenden Partien. Linear betonte Flächensegmente treten in den Dialog mit Materie und Struktur. Damit gewinnen die Bilder an Komplexität und schaffen sich einen weiteren Bedeutungsraum. Bis 1964 entwickelte Dahmen diese oberflächenbetonte, strukturreiche, formassoziative Malerei, um ihr dann mehr und mehr Objektcharakter zu verleihen und das Bild schließlich ganz zu verdinglichen.

In den Montagen und Objekten, die sich in den folgenden Jahren anschließen, entstehen zunächst Synthesen von Fundstücken, Realitätsfragmenten und informel-malerischen Parzellen. War es zuvor die reliefhafte Verwendung der Farbmaterie, verstärkt sich der dreidimensionale Charakter der Werke nun in der betonten haptischen Präsenz. Die Erfahrung einer freien Struktur und einer verlebendigten pastosen Farbmaterie führt 1967 zu einem Wechsel und einer Erweiterung des Bildnerischen, als Karl Fred Dahmen eine Professur an der Akademie der bildenden Künste in München übernimmt und vom rheinischen Stolberg in ein renoviertes altes Bauerngehöft im Chiemgau zieht.

Die Grundthemen des Werkes - auf den Menschen zurückweisender Gegenstand und landschaftliche Bezüge - alternieren nun. Das sommerlich satte Grün der Wiesen und winterlich egalisierende Weiß des Schnees im Chiemgau führen zu Landschaftszeichen in jenen Polsterbildern, in denen Karl Fred Dahmen seine neue Umgebung zu vermessen scheint. Das bäuerliche Gerät und Handwerkszeug finden Eingang in die metaphorisch überhöhten Kompositionen. Dem Informalismus verpflichtet bleiben die Integration von objets trouvés und die Materialanwendung.

Mit dem Umzug 1978 in ein größeres zum Atelierkomplex umgebautes Gehöft im Chiemgau geht wiederum ein Wandel der bildnerischen Erscheinungen und Resultate einher, so als ob der Künstler die bisher gewonnenen Erfahrungen subsumiert. Der landschaftliche Bezug der Gemälde erfährt eine Konkretion durch Rillen und Furchen in der Farbmaterie, die partiell durchpflügt wird von konstruktiv erscheinenden Formen, so als ob sich eisernes Gerät auf erdiger Haut niedergelassen hätte. Die Farbigkeit ist subtil differenziert und wieder dem Monochromen angenähert. Es sind Flächenpläne von verhaltener Ruhe, in denen Störungen als Formelemente ihre Spuren einprägen. Dieser Weg mit seinen markanten bildnerischen Zeichen wird durch den Tod des Künstlers im Januar 1981 abgebrochen, ein Weg, der die Erfahrungen des Malers zusammenzufassen scheint und doch Möglichkeiten in viele unrealisierte Bilder wies.

(Dieser Text wurde veröffentlicht in: Tayfun Belgin (Hrsg.): Kunst des Informel. Malerei und Skulptur nach 1952. Ausstellungskatalog Museum am Ostwall Dortmund / Kunsthalle in Emden / Neue Galerie der Stadt Linz, Wienand Verlag 1997, Seite 92-93.)