Autorin: Marie-Luise Otten

Peter Brüning

Peter Brüning gehörte als ein Mitglied der jüngeren Generation richtungweisend zu den erfindungsreichsten Protagonisten des deutschen Informel. Diese unbestrittene Beurteilung1 wird zuweilen der zwangsläufigen Allgegenwärtigkeit seiner Künstlerkollegen wegen, die ihn um mehr als zwei Jahrzehnte überlebt haben, und auch hinsichtlich der Eigenart des Werkes übersehen. Hierzu trägt nicht zuletzt der sich 1962/63 bereits ankündigende und 1964 allmählich vollzogene Wandel der Bildsprache Brünings bei. Dieser wird von Kritikern gelegentlich als 'Bruch' empfunden, der das durch den frühen Tod Brünings ohnehin nur wenige Schaffensjahre umfassende, dafür aber erstaunlich dichte Œuvre scheinbar in zwei divergierende Teile zerfallen läßt.

 

Eine solche Sicht der Dinge verkennt aber die diesem Werke zugrunde liegende Logik und verstellt den Blick auf die gleichzeitig zu konstatierende Kontinuität innerhalb der künstlerischen Ausdrucks- und Vorgehensweise. Das Werk weist auch in zunächst unterschiedlichen Erscheinungsformen durchgehend strukturell und formal nachvollziehbare Grundtendenzen auf, die sich etwa auch in der Darstellung von Bewegungsabläufen und einer spezifischen Raumvorstellung manifestieren. Wer dies nicht sieht, verkennt die Bedeutung des Informel überhaupt für die nachfolgenden Kunstphänomene. Auch Zero, Monochrome, Arte povera oder Op Art fußen trotz unterschiedlicher Chiffren der Wurzel nach im Informel. Bezeichnend ist, daß Peter Brüning als jüngster Vertreter dieser Kunstrichtung in den 60er Jahren zu den Künstlern gehörte, die in ihrem Schaffen die vom Informel zuvor entwickelten künstlerischen Positionen zum Ausgangspunkt ihrer neuen Visionen machten. 

 

Künstlerisch gearbeitet hatte Brüning, der in einem kunstsinnigen Elternhaus aufwuchs, bereits in jungen Jahren, und er kam in seinem vielfältig orientierten Frühwerk durch die Beschäftigung mit dem Expressionismus, das Studium bei Willi Baumeister und über die Auseinandersetzung mit Cézanne, dem Kubismus und mit Léger schon früh zu eigenen Stilfindungen, die in seinen informellen Bildern ihren Ausdruck fanden. 1958 ist auf diesem Wege ein erster Höhepunkt des Schaffens erreicht, der in der Gestaltung eines Raumgefüges begründet ist, das alle Teile - auch die weiße Leinwand - rhythmisch zueinander und in sich variabel ordnet. Durch den neuartigen Vorgang, die materielle Existenz der Farbe zu modifizieren und entweder transparent oder pastos akzentuiert einzusetzen sowie die Einbeziehung der weiß grundierten Leinwand als gleichwertigen kompositorischen Faktor, entstehen Bildfindungen, die in ihrer formalen Ausprägung absolut persönlichen Charakter tragen. Dieser Dualismus von Aufheben und Einsetzen sowohl der Leinwand als eigener Qualität als auch der Farbe als komplexe Materie bestimmt die Malerei der nächsten Jahre. Hierbei sind zwei Entwicklungslinien zu verfolgen. Einmal die Tendenz zu einer festgefügteren Struktur der Bilder mit aufeinander bezogenen, vielgliedriger werdenden Gesten, zum anderen eine fortschreitende Entwicklung zu stets offeneren, manchmal fast aquarellartig wirkenden Bildern.

Innerhalb dieser neuen Richtung in der Malerei erreichte Brüning neben Götz, Schultze, Schumacher, Hoehme, Dahmen und Thieler seinen eigenen Rang, bricht aber, wie sich zeigen wird, schon bald darüber hinaus zu neuen Stationen auf.

Durch die Eigenart, in aufeinander bezogenen Serien zu arbeiten, bilden sich im Laufe der Zeit mit der ständig neuen Artikulation des Raumes frei erfundene, individuelle Zeichen heraus, die durch ihre jeweils andere Anordnung innerhalb des Bildes strukturell modifiziert werden. Aufgrund dieser Entwicklung ist im Jahre 1962 eine ausgeprägte Tendenz zum Skripturalen hin festzustellen. Eine Auseinandersetzung der divergierenden Vorstellungen von Fläche und Raum findet statt. Die Werke des Jahres 1963 zeugen von einer ausgereiften Handhabung dieser 'Zeichen' und markieren einen weiteren Kulminationspunkt, der zugleich End- und Wendepunkt einer sich international als offen zu verstehenden Malweise ist.

In dieser Position ist wieder die Beschaffenheit der Arbeitsweise des Künstlers ausschlaggebend gewesen, durch die gedankliche Ausweitung des Begriffes 'Zeichen' zu einer Überwindung der persönlichen Zeichen zu gelangen und damit frei zu sein für überindividuelle, auch vorformulierte Codes verschiedenster Art aus seiner Umgebung. Die Arbeiten des Jahres 1964 zeigen den Verlauf einer Entwicklung, die in diesem Umfeld zu einer neuen Auffassung sowohl des Raumes als auch des gestischen Zeichens gelangt. Sie geben Einblick in die künstlerische Verfahrensweise, die von den freien Zeichen über das zunächst nur formale Interesse an schematischen Darstellungen und Symbolen - beispielsweise in der Werbung - in der Konsequenz auch deren inhaltliche Untersuchung als Informationsträger zur Folge hat. Mit dem Wissen um deren Funktion führen diese zunächst mehr oder weniger unbewußt übernommenen Schemata fremder Herkunft zu einer Verlagerung des Interesses.2 Mit der Entdeckung des kartographischen Vokabulars hat Brüning 1964 ein Ausdrucksmittel gefunden, das die Möglichkeit einschließt, sich mit dieser auf allgemeiner Übereinkunft basierenden Sprache auch außerhalb ihrer Funktion gänzlich frei und individuell artikulieren zu können. Poesie und Dramatik des künstlerischen Ausdrucks sind gleichermaßen möglich und setzen so die Formel seiner gestischen Bilder fort. Die Ambivalenz aber, die in der Verwendung dieses Vokabulars liegt, ermöglichte es Brüning, sich mit objektiven Werten völlig subjektiv zu äußern und so seiner künstlerischen Intention, deren Anliegen in diesen Jahren das Mit- und Gegeneinander von Natur und Zivilisation ist, Ausdruck zu verleihen. Eine weitere räumliche Visualisierung erfolgte durch das tatsächliche 'Heraustreten' der Zeichen aus dem Bilde und führt 1966 zu den ersten Objekten.

Das Werk Brünings ist als Reflexion auf seine unmittelbare Umgebung, Landschaft und die urbane Umwelt entstanden, nicht im Sinne von Nachahmung, sondern als bildnerisch fixierte Idee. Es findet demnach kein Konzeptionswandel im Werk von Peter Brüning statt, sondern eine prozessual fortschreitende Ausweitung der subjektiven künstlerischen Sprache zu objektiver Verbindlichkeit. Dieser Objektivierungsprozeß ist darüber hinaus Ausdruck der Kunst jener Zeit und findet in den 60er Jahren auch ihre Entsprechung in dem Œuvre von Gerhard Hoehme und Bernard Schultze. Die theoretische Erforschung zeichenhafter Bildfindungen und in deren Konsequenz die Untersuchung auf ihren Realitätsgehalt charakterisierten die späteren Werke des Künstlers, die im Umfeld der Landschaft zu einer neuartigen Interpretation ästhetischer Seherlebnisse führten, dessen spezifisches Formenvokabular und aus heutiger Sicht visionär erscheinender künstlerischer Ansatz in unverwechselbarer Eigenart das malerische und plastische Schaffen Peter Brünings bis zu seinem Tode prägten. Erreicht hat er diese Position auf einem Wege, dem Folgerichtigkeit, bildnerische Erfindungskraft und geistige Intensität eigen ist.

1 Siehe die Vielzahl von Publikationen und Aufsätzen namhafter Kunstkritiker, die seinen Schaffensweg begleiteten. Ausführliche Bibliographie bei Marie-Luise Otten: Peter Brüning. Studien zu Entwicklung und Werk, Werkverzeichnis, Köln 1988, S. 490-491.
Noch 1964, also im Jahr des Wandels, schrieb John Anthony Thwaites in seinem Katalogtext: "Ich kenne in Europa keinen 34jährigen Maler, der so weit gekommen ist." Peter Brüning. Gemälde, Ausst.kat., Kunst- und Museumsverein Wuppertal, Kunstverein Freiburg/Breisgau, Städtisches Museum Mülheim/Ruhr, Kunstverein Oldenburg, o.O., 1964, o.P.

2 Hierzu Brüning im Interview mit Rolf-Gunter Dienst: "Da seit 1962 und 1963 die Bilder sich immer mehr in Formen verwandelten, die sich nebeneinander legten und zu Einzelzeichen wurden, wurde erstens der Raum flacher, und zweitens nahmen die gemalten Formen mehr Eigenständigkeit an. Dieser Vorgang kulminierte dann bei mir in einer Unruhe, die mich immer mehr auf schematische Darstellungen aufmerksam werden ließ, die ich bewußt in den Malprozeß mit einbezog, aber immer noch in einer verhältnismäßig offenen Form. Eine ganz bestimmte Auslösung bewirkte bei mir die schematische Darstellung einer Produktionskurve, die ich in einer Ausgabe der Zeitschrift 'Life' sah, in der eine Kurve in Form eines Regenbogens über eine Doppelseite hinwegging und mit sehr aggressiven Farben dargestellt war. Auf dieser Kurve sind wiederum Kreise abgesetzt, die den Bogen sozusagen in seiner Bewegung stoppen. Diese dynamische Bewegung löste bei mir eine Serie von Bildern aus und wurde zum entscheidenden Moment einer direkten Übernahme dieser schematischen Darstellungen." Rolf-Gunter Dienst: Noch Kunst. Neuestes aus deutschen Ateliers. Interview mit Peter Brüning, Düsseldorf 1970, S. 57-58.

(Dieser Text wurde veröffentlicht in: Tayfun Belgin (Hrsg.): Kunst des Informel. Malerei und Skulptur nach 1952. Ausstellungskatalog Museum am Ostwall Dortmund / Kunsthalle in Emden / Neue Galerie der Stadt Linz, Wienand Verlag 1997, Seite 72-73.)